„Hier im Norden wird es wirklich erst spät dunkel“, sagst du. Wir sitzen um das Lagerfeuer, die Dämmerung ist nicht mehr Dämmerung zu nennen, sondern schlicht Dunkelheit und ich schaue dich an. Ein bisschen überrascht mich das immer noch, das hier ‚Norden‘ zu nennen, dabei ist das doch gar kein ‚Norden‘ und schon gar nicht ist das hier ‚im Norden‘. ‚Nördlicher‘, ja, das mache ich noch mit, aber ‚Norden‘…?
Aber ich sage nichts, denn mir fällt diese Geschichte ein. Damals, als wir (ein anderes wir als ich und du) aus der ganz anderen Richtung kamen und doch ganz in der Nähe von unserem jetzigen Lagerfeuer saßen. Damals, zur gleichen Zeit vor ziemlich genau zehn Jahren. (Ist es schon so lange her?) Statt Lagerfeuer hatten wir einen See, das war auch schön, ein bisschen windig zwar und deutlich kühler als das Lagerfeuer, aber wir kamen ja aus dem richtigen, dem echten Norden, dem Norden mit Elchen und Rentieren und Trollen. Da machte der kühle See gar keinen Unterschied mehr.
Da saßen wir, fünf junge Menschen (sind wir heute nicht mehr jung?) irgendwo im Brandenburger Niemandsland, irgendwo in diesem Limbo, das die Rückkehr von einem großen Abenteuer immer bedeutet. Wir saßen auf dem Steg mit den Füßen im Brandenburger Wasser und schauten uns die Sterne an. Wir fanden den großen Wagen. Niemand von uns kannte ein anderes Sternbild. (Ich kenne bis heute kein anderes. Manche Dinge bleiben.) „Irgendwas ist komisch“, sagt eine von uns. Und sie hatte recht, irgendwas war komisch, fühlte sich anders an, aber andererseits fühlte sich in diesen Tagen alles anders an. Nach Sommer, nach Abschied, nach Trauer, nach Freude, nach Ungewissheit, nach Vorfreude, nach Verlust. Wir nickten alle. „Ja, komisch“, stimmten wir zu und blickten weiter, aber diesmal auf den See.
„Ich hab’s!“, sagte die eine. „Es ist schon dunkel! Hier im Süden wird es ja wirklich schon früh dunkel.“
…
Am Lagerfeuer verkneife ich mir den leicht besserwisserischen Vortrag über Norden und Süden. Ich blicke in den Himmel und nicke. „Ja“, sage ich, „die hellen Sommernächte, die vermisse ich am meisten.“